Ableben von Prof. Dr. Helmut Moritz

Prof. Dr. Helmut Moritz

Prof. Dr. Helmut Moritz

Herr Prof. Dr. Helmut Moritz ist am 21.10.2022 im Alter von 89 Jahren verstorben. Er war von 1988 bis 1995 Präsident der ÖGK. Mit Prof. Moritz verlieren wir einen großartigen, international höchst angesehenen Wissenschafter, einen wunderbaren Kollegen und guten Freund.

Die Verabschiedung findet am Montag, dem 7. November, um 10:00 in Graz / St. Leonhard (Kirche) statt.

Ein Gedenk-Kolloquium ist für das Frühjahr nächsten Jahres geplant.

Die Mitglieder der ÖGK bekunden allen Hinterbliebenen von Prof. Moritz ihr herzliches Beileid.

em.o.Univ.-Prof. DI Dr. Dr.h.c.mult. Helmut Moritz

1933 – 2022

Nachruf

Mit großer Betroffenheit, ja persönlicher Trauer, nehmen wir Kenntnis vom Tod eines genialen Wissenschafters und begnadeten akademischen Lehrers: Helmut Moritz, der uns am 21. Oktober 2022 kurz vor Vollendung seines 89. Lebensjahres verlassen hat.

Am 1. November 1933 in Graz geboren, besuchte Helmut Moritz das Akademische Gymnasium in Graz. Seinen Vater verlor er im Krieg und so wuchs er unter sehr schwierigen Bedingungen auf. Seine hohe Begabung, verbunden mit einem ausgeprägten Interesse an Mathematik, Naturwissenschaften, Musik und Sprachen wurde bereits während seiner Gymnasialzeit erkannt. An der damaligen Technischen Hochschule Graz (heute Technische Universität Graz) studierte er Vermessungswesen, graduierte 1956 zum Dipl.-Ing. und promovierte mit seiner Doktorarbeit „Fehlertheorie im Funktionenraum“ im Jahr 1959 sub auspiciis Praesidentis zum Dr.techn. – eine frühe geniale Arbeit, die erstmals den unendlich-dimensionalen Hilbert-Raum in die Geodäsie einführte. Im gleichen Jahr heiratete Helmut Moritz auch seine geliebte Gerlinde, die ihm zwei Kinder schenkte, Berta und Albrecht.

Nach einer dreijährigen beruflichen Tätigkeit am Bundesamt für Eich-und Vermessungswesen folgte 1962 eine Einladung des Department of Geodetic Science der Ohio State University als dem damaligen Mekka der Geodäsie unter der Leitung von Weikko A. Heiskanen, mit dem Helmut Moritz auch bereits sein erstes wissenschaftliches Buch verfasste, das zu einem Bestseller geworden ist, in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat: „Physical Geodesy“.

Kaum von Columbus nach Graz zurückgekehrt, erhielt Helmut Moritz nach erfolgter Habilitation im Jahr 1964 einen Ruf als Privatdozent an die Universität Hannover und im selben Jahr den Ruf als ord. Professor an die TU Berlin. In diese Zeit fällt seine intensive Forschungstätigkeit zum Molodensky-Problem.

Und während der heißen Phase der Studentenunruhen 1968 ereilte ihn plötzlich ein Ruf aus Graz, den er jedoch nicht annahm – noch nicht, denn drei Jahre später war es dann endgültig so weit: Berufung als ord. Univ.-Professor an die damalige Technische Hochschule  Graz im Jahr 1971. Diese Phase seiner Forschungstätigkeit ist zentral mit dem Thema „Kollokation nach kleinsten Quadraten“ verbunden – eine Ausgleichung im Hilbert-Raum mit zwei Vätern des Gedankens: Helmut Moritz und Torben Krarup.

Mit Helmut Moritz wurde ein junger und sehr dynamischer Professor nach Graz berufen, der das Buch der theoretischen Geodäsie nicht bloß übermalt, sondern völlig neu geschrieben hatte und von seinen Studierenden nicht nur verehrt, sondern vielmehr ehrfürchtig umarmt wurde. Er verstand es von Anbeginn, seine Studierenden für sein Fachgebiet zu interessieren, deren Neugier zu wecken und hatte die Gabe, selbst sehr komplizierte Zusammenhänge so leichtverdaulich und appetitanregend darzustellen, dass man den Eindruck hatte, auch alles verstanden zu haben. Dabei folgte er stets der Empfehlung von Albert Einstein, wonach man die Dinge so einfach wie möglich machen sollte, jedoch nicht einfacher. Ja, Einfachheit ist in der Tat das Resultat der Reife.

Und diese seine Grazer Zeit wurde zu einer außerordentlich intensiven, wissenschaftlich sowieso, aber auch stark geprägt durch seine internationale Ausrichtung und folglich durch eine stark internationale Atmosphäre im gesamten Institut. Helmut Moritz behauptete von sich selbst, dass das Jahrzehnt von 1975 – 1985 das interessanteste und kreativste seines Lebens gewesen sei. So entstanden hochkarätige Publikationen zum geodätischen Randwertproblem, zur Erdrotation und der Theorie der Nutation und Polbewegung , zu relativistischen Effekten in Bezugssystemen, zur Satelliten-Gradiometrie bis hin zur Realisierung des Geodätischen Bezugssystems 1980. „Least squares collocation“ entwickelte sich zu einem außerordentlich leistungsfähigen und im Bereich der physikalischen Geodäsie weltweit angewandten wissenschaftlichen Werkzeug. Und es war natürlich Helmut Moritz, der Kollokation in allen ihren Facetten im Fundamentalwerk „Advanced Physical Geodesy“ wissenschaftlich einbettete. Gemeinsam mit I.I. Mueller verfasst er das umfangreiche Werk „Earth Rotation: Theory and Observation“. Sein mit B. Hofmann-Wellenhof verfaßtes Buch „Geometry, Relativity, Geodesy“ kann als ein wunderschöner Brückenbau von der gekrümmten Fläche hin zum gekrümmten Raum verstanden werden, und sein Werk „Science, Mind and the Universe“ als eine wissenschaftliche Reise in die unermeßlichen Weiten unseres Universums und deren Reflexion durch den menschlichen Verstand. Der internationale Bedarf nach einer überarbeiteten Neuauflage seines Erstwerkes „Physical Geodesy“, nun gemeinsam mit B. Hofmann-Wellenhof verfaßt, schließt den Kreis seiner wissenschaftlichen Bücher wohltuend ab.

Zeitgleich mit seiner Emeritierung im Jahre 2002 ereilte Helmut Moritz ein schwerer Schicksalsschlag: der Tod seiner geliebten Gattin Gerlinde, die für ihn nicht nur Lebensbegleiterin und Familienklammer war, sondern vielmehr auch Beraterin und Diskussionspartnerin,  auch in wissenschaftlichen Fragen. Diese Zäsur bildet sich auch in seiner starken Hinwendung zu Philosophie der Naturwissenschaften, zu Philosophie und Religion bis hin zu Metamathematik und Metabiologie ab. So umfasst das gesamte wissenschaftliche Werk von Helmut Moritz mehr als 230 Publikationen und 9 Bücher, die zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

Helmut Moritz führte aber nicht nur einen sehr feinen wissenschaftlichen Schreibstift, sondern stieg auch seit seiner Berliner Zeit die Treppenleiter wissenschaftlicher Funktionen konsequent wie auch steil nach oben: Vom Vorsitz der Deutschen und später auch der Österreichischen Geodätischen Kommission, über den Vorsitz einer Studiengruppe der IAG und Präsident einer IAG-Sektion, IAG-Vizepräsident und danach postwendend IAG-Präsident, gefolgt vom weiteren Aufstieg  zum IUGG-Präsidenten und letztlich zum Büromitglied des International Council of Scientific Unions – eine drei Jahrzehnte währende internationale Bilderbuchkarriere auf höchstem Niveau fürwahr! Und gleichsam zur Abrundung seines internationalen Profils wurde Helmut Moritz auch noch zum Präsidenten der Internationalen League of Humanists in Sarajevo sowie zum Generaldirektor des Inter-University Centre in Dubrovnik bestellt.

Manche Kolleg/innen meinten wohl, dass seinen internationalen Karrieresprüngen auch solche innerhalb der Universität logisch folgen sollten, und so wurde Helmut Moritz mehr als nur einmal die Funktion eines Dekans angeboten. Er lehnte jedoch immer dankend ab mit dem Hinweis, dass er Außenpolitik sehr viel mehr schätze als Innenpolitik. Konsequent hielt er sich also an die fragende Empfehlung des Euripides, der einst meinte „Du sagst, der Thron sei lockend? Für den weisen Mann mitnichten!“. (Der Verfasser dieses Nachrufs kann aus eigener Erfahrung diese seine konsequente Haltung sehr gut nachempfinden und wahrlich als weise bezeichnen. Wie viel ärmer wäre die theoretische Geodäsie doch, hätte sich Helmut Moritz zur Funktion eines Dekans oder gar eines Rektors beknien lassen!)

Dass Helmut Moritz wissenschaftlich genial war, ist wohl unbestritten und vielfach bezeugt. Dass er aber auch sprachlich ebenso begabt war, sei beeilend hinzugefügt: Griechisch und Latein zu beherrschen galt für Absolventen eines humanistischen Gymnasiums gleichsam als selbstverständlich, und Englisch lernt man meist ohnehin „on the job“. Dass es aber im Laufe seiner Lebensjahre 14 (!) Sprachen werden sollten, die er durch Gespräche mit „native speakers“ regelmäßig trainierte, das ist kaum mehr vollstellbar. Und in seinen letzten Lebensjahren hat er sich sogar besonders intensiv mit Hebräisch und Arabisch beschäftigt!

Besonders begnadete Wissenschafter entwickeln oft auch eine Liebe zu Musik und Literatur. Das gilt auch in hohem Maße für Helmut Moritz: das Klavierspiel hat er seit seiner Gymnasialzeit möglichst jeden Tag praktiziert, das Spiel auf der Orgel als der Königin der Instrumente hat er als Organist seiner Kirchengemeinde gleichsam geschenkt. Und was sein literarisches Interesse anlangt, so ist das ebenso breit, es war aber vor allem Adalbert Stifter, dem er ganz besonders zugeneigt war.

Eine Karriere in dieser Breite und gleichzeitig Tiefe bleibt natürlich nicht unbeachtet und so wurde Helmut Moritz auch mit einer großen Zahl höchster Ehrungen bedacht: die Gauß-Medaille, die Alexander-von-Humboldt-Medaille und die Kopernikus-Medaille stehen hier exemplarisch für eine große Zahl weiterer höchster internationaler Auszeichnungen. Die wissenschaftlichen Akademien waren ebenso sehr daran interessiert, einen wissenschaftlichen Superstar wie Helmut Moritz in ihren prominenten Reihen zu sehen. Und so wurde Helmut Moritz in 15 (!) wissenschaftliche Akademien als Mitglied berufen.

Drei Universitäten mit klingendem Namen und internationaler Reputation durften Helmut Moritz für seine großen wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der theoretischen Geodäsie mit einem Ehrendoktorat ausstatten: die Technische Universität München, die Ohio State University und MIIGAIK, die Geodätische Universität in Moskau. Und auch die Technische Universität Wuhan hat sich mit einer Ehrenprofessur für seine wissenschaftliche Unterstützung der Geodäsie in China dankend eingestellt.

Hochkarätige Wissenschafter werden mitunter von sehr verständnisvollen und unterstützenden Partnerinnen begleitet und der Familie im wahrsten Sinne des Wortes getragen. Dies gilt für seine geliebte Gattin Gerlinde wie auch für seine Tochter Berta sowie für seinen Sohn Albrecht gleichermaßen. In der erweiterten Familie in Form seiner Mitarbeiter/innen und seiner Fachkolleg/innen im nationalen wie auch internationalen Umfeld fand Helmut Moritz nicht bloß Bewunderung, sondern vielmehr eine wohltuende Einbettung wie es einem wunderbaren Menschen gebührt.

Und so verabschieden wir uns von Helmut Moritz, einer außerordentlichen Persönlichkeit, die neben bewundernswerten wissenschaftlichen Leistungen gleichzeitig große Bescheidenheit, Humor und Zielstrebigkeit mit Leben erfüllt hat, mit einem aufrichtigen und herzlichen  Dankeschön.

Graz, im Oktober 2022,

Hans Sünkel